Kinder an Klettergerüst
Keine Barrierefreiheit mehr: Kritik an neuen Regionalzügen

Keine Barrierefreiheit mehr: Kritik an neuen Regionalzügen

– Südkurier

Kreis Waldshut – Seit ein paar Monaten fahren auf der Hochrheinstrecke zwischen Basel und Erzingen neue Züge. Deutlich mehr Sitzplätze und mehr Platz für Fahrräder, Kinderwagen und Rollstühle sollen die neuen Züge der Baureihe 644 vom Typ „Talent“ des Herstellers Bombardier Transportation im Vergleich zum Vorgänger, dem 641er, vorweisen. Die Deutsche Bahn preist die neuen Züge, die zuvor im Ruhrgebiet im Einsatz waren, auch als behindertengerecht an.

Doch was Barrierefreiheit angeht, ist das nicht der Fall. Denn ohne die Hilfe von Fahrgästen oder Bahnmitarbeitern kommen gehbehinderte Menschen nicht alleine in den Zug, weil der Höhenunterschied zwischen Bahnsteig und Tür zu hoch ist. Eine fest montierte Tritthilfe hilft nur mobilen Fahrgästen. "Als Rückschritt" bezeichnet Bahnkunde Hans-Peter Cheret aus Horheim die Baureihe, denn bei den Vorgängerzügen gibt es keinen Höhenunterschied zwischen Tür und Bahnsteig. "Es grenzt an einen Skandal, wenn diese Baureihe hier im Landkreis weiter den Nahverkehr durchführen soll", sagt Cheret. Der Rentner hat sich bereits bei der Deutschen Bahn sowie bei der Nahverkehrsgesellschaft BW per E-Mail beschwert. "Doch bisher habe ich keine Antwort erhalten."

Auch der Regionalverband des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) zeigt sich entsetzt über die neuen Züge, die einen zu hohen Einstieg haben. Hans Saurer, stellvertretender Vorsitzender: "Vorbei sind die schönen Zeiten, in denen man einen Kinderwagen oder ein Fahrrad einfach in den Zug schieben oder mit dem Rollstuhl oder Rollator hineinrollen konnte. Bei den neuen Zügen müssen zwei Stufen erklommen werden. Für elektrische Rollstühle unüberwindbar. Für alle anderen zumindest umständlich und ärgerlich. Für den VCD ist dies ein Skandal. Auch im Landratsamt Waldshut ist man überrascht und beteuert, man habe keinen Einfluss auf das Rollmateriall."

Ein Pressesprecher der Deutschen Bahn in Stuttgart erklärte gegenüber dieser Zeitung, dass es sowohl innen als auch außen einen Knopf für Rollstuhlfahrer gibt, der dem Lokführer signalisiert, dass ein Fahrgast Hilfe benötigt. In einem Selbsttest hat diese Zeitung zusammen mit Hans-Peter Cheret, einem ehemaligen Sonderschullehrer, getestet, ob bei Knopfdruck tatsächlich Hilfe kommt.

Der Selbstversuch

Am Freitagmorgen gegen 9.53 Uhr hält der Regionalzug Richtung Basel am Lauchringer Bahnhof. Dort steht er für rund zehn Minuten, bis er seine Fahrt Richtung Tiengen fortsetzt. Hans-Peter Cheret steht mit einem Rollator, obwohl er eigentlich keine Gehhilfe benötigt, am Bahnsteig. Als der Zug eintrifft, sucht er den Knopf, findet ihn und drückt. Kurz darauf kommen zwei Bahnmitarbeiter und helfen dem Rentner in den Zug. Wir klären die Situation auf und fragen einen der beiden Bahnmitarbeiter, ob es üblich ist, dass Bahnpersonal zu Hilfe eilt. Ghassan Frouja, seit kurzer Zeit Zugbegleiter auf der Hochrheinstrecke: "Das ist doch selbstverständlich. Das ist mein Job."

Einen zweiten Versuch unternehmen wir – ohne Rollator – am Waldshuter Bahnhof. Dort hält der Zug nur kurz. Wir wollten testen, ob Bahnpersonal auch kommt, wenn niemand auf den ersten Blick erkennbar gehbehindert ist. Wir drücken mehrfach auf den Knopf – nichts passiert.

Der Presseprecher der Deutschen Bahn in Stuttgart erklärt: "Es kann sein, dass der Zugführer dachte, dass jemand versehentlich an den Knopf gekommen ist und deshalb nicht zu Hilfe gekommen ist." Wenn kein Zugbegleiter in der Bahn sei, müsse der Lokführer selbst – wenn beispielsweise ein Rollstuhlfahrer in den Wagon möchte – eine mobile bordeigene Rampe anbringen. Das könnte bei den engen Zeitplänen laut Bahnsprecher aber zu Verspätungen führen. Zugbegleiter Frouja erklärt: "Die mobile Rampe steht in der Bahn direkt am Eingang und kann mit wenigen Griffen angebracht werden."

Hans-Peter Cheret: "Auch wenn ich nicht verstehen kann, dass Züge wie der 644er eingesetzt werden, die schlechter sind als die Vorgänger, bin ich doch positiv überrascht, dass mir geholfen wurde. Ich hoffe, dass war kein Einzelfall", sagt Cheret.

Der Selbstversuch

Leser und Bahnfahrer Hans-Peter Cheret kritisiert nach einer Bahnfahrt in den neuen Regionalzügen der 644er- Reihe, dass gehbehinderte Menschen nicht ohne Hilfe in den Zug gelangen. Der Grund: Im Vergleich zu den Vorgängerzügen ist der Einstieg nicht auf der selben Höhe wie der Bahnsteig.

 
Bahnfahrer Hans-Peter Cheret (links) aus Horheim testet die neuen DB-Regionalzüge auf Barrierefreiheit. Anders als bei den Vorgängerzügen ist der Abstand zwischen Bahngleis und Zug so hoch, dass gehbehinderte Menschen nicht ohne Hilfe in die Bahn steigen können. Wenn Hilfsbedürftige auf einen Knopf am Zug drücken, soll Hilfe kommen. Am Lauchringer Bahnhof hat es funktioniert und Zugbegleiter Ghassen Frouja hilft beim Einstieg. Bilder: Susann Klatt-D'Souza | Bild: Susann Klatt-D'Souza

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