Kinder an Klettergerüst
Der behutsame Versuch, wieder in die Spur zu finden

Der behutsame Versuch, wieder in die Spur zu finden

– Badische Zeitung

TITISEE-NEUSTADT. Narrinarro. Die Lebenshilfe macht am 9. Februar Fasnet. Ob das gehen kann, mag mancher fragen. Wo doch in allen Köpfen die Erinnerung sitzt an das Unglück in der Caritas-Werkstätte. Ja, sagen Uli Pfeiffer und Janine Seifried, der Geschäftsführer und die Leiterin der Freizeitabteilung. Und zwar gut überlegt und bewusst entschieden. Auf Wunsch und im Sinn der Menschen mit Behinderung. So aufmerksam und einfühlsam, dass man schwere Gedanken auffangen kann. Denn groß ist der Wunsch, dass – bei aller Trauer – der Alltag einkehrt und die Normalität wieder greift.

Sieben Frauen und zwei Männer, die zur Lebenshilfe kamen, sind am 26. November gestorben. Sie haben Lücken hinterlassen. Sie fehlen als Mensch, als Persönlichkeit, mit ihren Stärken und Schwächen, mit ihren Aufgabe und Vorlieben. Die Frau, die bei der Tanzgruppe stets den Anfang machte – jetzt erklingt die Musik, und alle bleiben sitzen, weil niemand mehr vorangeht. Oder der Mann, der an Fasnet immer das schönste Kostüm trug – er wird nicht dabei sein am 9. Februar.

 

Es waren zwei Phasen, erzählt Uli Pfeiffer am Gruppentisch in der Geschäftsstelle. Gleich nach dem Unglück herrschte Chaos. An Arbeiten war nicht zu denken, im Büro blieb alles liegen. Die ganze Kraft galt dem Verarbeiten der Ereignisse, dem Versuch des Verstehens, des Tröstens und Trostfindens, wieder und wieder.

Erster Gedanke war, naheliegend fast, alles Geplante abzusagen. Wie sollte das noch gehen?! Wo die Gedanken nur beherrscht waren von dem einen Thema?! "Doch schon am Tag nach dem Brand kamen die ersten Menschen und fragten, was ist mit dem Tanzen", erzählt Janine Seifried. Und was ist mit den Silvesterreisen, ein Höhepunkt des Jahres für viele? Sie erinnert sich an viele Diskussionen im Team, an das Abwägen von Für und Wider, an Mut und Zweifel, neue Zuversicht und wieder die Zerrissenheit. Und schließlich den Entschluss: Absagen wären falsche Entscheidungen.

Alles wurde aufrechterhalten, allerdings in offenen Angeboten: Wer wollte, der konnte mitmachen, wer es (noch) nicht schaffte, konnte wegbleiben.

Gleichzeitig wurde kurzfristig eine Vielzahl von individuell ausgerichteten Angeboten gemacht. Man stellte sich auf die Erfordernisse und die Gemütslagen ein. Janine Seifried vergleicht es mit Wellenbewegungen: "Wir gehen mit den Leuten mit, egal, ob bei Trauer oder bei Freude." Die Silvesterreisen wurden sogar aufgestockt – Ablenkung, Abwechslung, aber auch Alltag und Normalität. Und doch blieben Gelegenheit und Zeit, den Schmerz zu verarbeiten.

Die Phase zwei hat begonnen, Verwaltung und Organisation laufen. Trotzdem hat die Trauer weiter ihren Raum. Die Fotos der Toten und die Kerzen sind nur aus der Mitte gerückt, aber sie haben ihren Platz wie die Erinnerung an sie. Und weiter herrscht große Achtsamkeit. Auch der Kontakt zu den meist betagten Eltern ist sehr regelmäßig. Vor allem in der Zeit, da mit der Arbeit die so wichtige Tagesstruktur fehlte, telefonierte man täglich, um herauszufinden, wer Hilfe braucht und wie man die Familie unterstützen kann.

"Da wird man als Mitarbeiter natürlich zurückgeworfen" Uli Pfeiffer

Uli Pfeiffer weist auf die besondere Situation der Menschen mit Behinderung hin: In so vielen Lebenslagen wird für sie entschieden, mit der Absage hätte man dies wieder getan. Jetzt bleibe ihnen die Möglichkeit, zur Fasnet zu gehen oder nicht. Das närrische Miteinander sei ist ein offenes Angebot, viele haben sich angemeldet, andere werden nicht ins Thomasheim kommen. Jeder geht auf seine Weise mit dem Unglück um.

Es wird also – auf den ersten Blick – eine Fasnet werden wie immer. Nach dem Motto "Es war einmal – alles aus der Welt der Märchen" kann man sich verkleiden. Der Elternkreis hat einen Tanz vorbereitet. Spiele werden angeboten. Die Hefelochblätzer, die Rötenbacher Schalmeien und die Lumpemännle aus Hölzlebruck kommen im Häs und machen Musik. "Das ist Inklusion pur", freut sich Uli Pfeiffer. Eine halbe Fasnet mit Trauerecke – "das geht nicht".

Und wie geht es ihnen, den Mitarbeitern? Uli Pfeiffer zögert einen Augenblick. "Für uns ist das ja die Arbeit", sagt er. Und noch bevor man stutzig wird, erklärt sich die Aussage: Man ist beschäftigt, hat die Veranstaltung zu organisieren, hier etwas zu machen, dort etwas zu richten, nach dem Ablauf zu schauen und auf Erfordernisse der Teilnehmer zu achten. Soll heißen: Man ist berufsmäßig abgelenkt. Dass Plätze leer bleiben, bestimmte Aufgaben nicht von den vertrauten Menschen wahrgenommen werden oder die eine oder andere persönliche Eigenart nicht mehr auffällt, lässt sich aber nicht wegdrücken. "Da wird man als Mitarbeiter natürlich zurückgeworfen" – zurück auf das Unglück mit 14 Toten, zurück in den Versuch des Begreifens.

Dass die Feier zusammenbrechen könnte unter einem Zuviel an Erinnerung, glauben weder Pfeiffer noch Seifried: "Wer kommt, wird sein Vergnügen haben, wer noch nicht feiern kann, wird nicht da sein." Trotzdem wird man mit besonderer Aufmerksamkeit hören und schauen und zu erspüren versuchen, wie es den Leuten geht, um zur rechten Zeit ein Wort oder eine Geste parat zu haben.

Die Mitarbeiter haben selbst der Hilfe bedurft. Wenige Tage nach dem Brand trafen sich die haupt- und die ehrenamtlichen Kräfte mit Krankenhausseelsorgerin Dorothea Welle und Trauerspezialistin Martina Steinhart-Klausmann. Es waren Stunden in Tränen, Verzweiflung und Gesprächen. Janine Seifried erinnert sich an die vielen Signale von früheren Mitarbeiterinnen, die teils sogar aus dem Ausland und von der Arbeitsstelle weg Hilfe anboten. "Überwältigend" sei das gewesen, erzählt sie. Und sie weiß noch gut, wie Martina Steinhart-Klausmann die Schriftstellerin Astrid Lindgren zitierte: "Sie saßen zusammen und hatten es schwer, aber sie hatten es gemeinsam schwer." Genauso habe sich die Last verteilt, man sei zusammengewachsen.

Ganz ähnlich, ist der Eindruck, hofft man durch die gemeinsame Fasnet auch für die Menschen mit Behinderung die Last zu verteilen und zu lindern. Der Weg in die Normalität ist schwer, für alle.

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